Europa

EU-Gericht sei Dank: Krisenprofiteur Amazon von Steuerrückzahlung befreit

Seit Langem ist bekannt, dass große Digitalkonzerne wie Amazon, die besonders in der Corona-Krise enorme Profite machen, kaum Steuern zahlen. Der Versuch der EU, 250 Millionen Euro Steuern plus Zinsen von Amazon nachzufordern, scheiterte vorerst vor Gericht. Die EU-Kommission behält sich einen Einspruch vor.
EU-Gericht sei Dank: Krisenprofiteur Amazon von Steuerrückzahlung befreit© Carsten Thesing/imago stock&people/ Global Look Press

Aufatmen bei Amazon – schwere Schlappe für Wettbewerbshüter der EU: Der weltgrößte Online-Konzern Amazon habe nicht von unerlaubten Steuervorteilen in Luxemburg profitiert, hieß es in dem Urteil des zweithöchsten EU-Gerichts am Mittwoch.

Die zuständigen Richter kippten damit eine Anordnung der EU-Kommission, nach der Luxemburg von dem US-Konzern rund 250 Millionen Euro Steuern plus Zinsen nachfordern soll. Die EU-Kommission hatte argumentiert, Luxemburg habe dem US-Konzern die Zahlung von Steuern auf einen Großteil seiner Gewinne aus dem EU-Geschäft erspart, indem es ihm ermöglicht habe, Gewinne steuerfrei an eine Holding weiterzuleiten. Nach Auffassung des Gerichts hat die Brüsseler Behörde rechtlich nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Steuerlast einer europäischen Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns zu Unrecht verringert wurde.

Die Anordnung im Fall Amazon hatte die EU-Kommission 2017 beschlossen, nachdem sie im Zuge einer Prüfung zu der Auffassung gelangt war, dass Luxemburg dem Unternehmen von Mai 2006 bis Juni 2014 wettbewerbswidrige Vorteile eingeräumt habe, um es an sich zu binden. Die EU-Kommission hatte argumentiert, Luxemburg habe dem US-Konzern die Zahlung von Steuern auf einen Großteil seiner Gewinne aus dem EU-Geschäft erspart, indem es ihm ermöglicht habe, Gewinne steuerfrei an eine Holding weiterzuleiten. Unterm Strich soll Amazon auf drei Viertel seiner aus dem EU-Umsatz erzielten Gewinne keine Steuern gezahlt haben.

Dass die EU-Kommission den Richterspruch akzeptieren wird, gilt als unwahrscheinlich. Vor dem Europäischen Gerichtshof wehrt sich die Brüsseler Behörde bereits gegen ein Urteil, mit dem das EU-Gericht eine Aufforderung an Irland gekippt hat, vom iPhone-Hersteller Apple bis zu 13 Milliarden Euro an Steuern zurückzufordern. Auch im Fall Amazon hat sie ein Einspruchsrecht.

Die EU-Kommission behält sich auch in diesem Fall einen Einspruch gegen das Urteil des EU-Gerichts zu Steuervorteilen für den Online-Händler Amazon vor. "Wir werden das Urteil sorgfältig prüfen und über mögliche weitere Schritte nachdenken", erklärte die für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager am Mittwoch in Brüssel. Steuervorteile, die nur ausgewählten multinationalen Unternehmen gewährt würden, schädigten den fairen Wettbewerb in der EU. "Alle Unternehmen sollten ihren gerechten Steueranteil zahlen", so Vestager.

Amazon selbst reagierte – wie auch das luxemburgische Finanzministerium – erleichtert. "Wir begrüßen die Entscheidung des Gerichts, die unserer langjährigen Auffassung entspricht, dass wir alle geltenden Gesetze befolgen und Amazon keine Sonderbehandlung erhalten hat", teilte ein Amazon-Sprecher mit. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen nachgebessert und versteuert seine Gewinne seit 2015 nicht mehr zentral in Luxemburg, sondern in einzelnen europäischen Ländern.

Die EU-Kommission und viele Mitgliedsländer arbeiten seit Längerem daran, Tricks von Großkonzernen zur Steuervermeidung zu unterbinden. Kritiker monieren, dass auch manche EU-Länder Schlupflöcher zur Steuervermeidung zulassen. Amazon zählt zu den großen Arbeitgebern in Luxemburg. Für die EU-Kommission ist das Urteil unangenehm, weil es Befürchtungen weckt, dass als unfair und wettbewerbsverzerrend erachtete Steuerdeals in vielen Fällen juristisch nicht zu beanstanden sein könnten. Auch im Fall Apple hatten die Richter des EU-Gerichts entschieden, dass die Kommission nicht ausreichend nachgewiesen habe, dass die Steuervereinbarungen von Apple in Irland aus den Jahren 1991 und 2007 eine verbotene staatliche Beihilfe darstellten.

Während Reuters das aktuelle Urteil als einen Sieg gegen einen vermeintlichen "EU-Steuerkreuzzug" betitelt, erscheinen 250 Millionen Euro bei einem Blick auf die Umsätze von Amazon wie Peanuts. 2020 erzielte der US-Konzern allein in Deutschland knapp 29,6 Milliarden US-Dollar Umsatz (24,4 Mrd. Euro). Weltweit waren es rund 386 Milliarden Dollar. Der reichste Mensch der Welt, Amazon-Chef Jeff Bezos, hat derweil sein Privatvermögen in Höhe von rund 188 Milliarden Dollar durch den Verkauf weiterer Amazon-Aktien am Mittwoch noch mal gesteigert. Allein im Mai hat er Anteile im Wert von 6,7 Milliarden Dollar (5,5 Mrd. Euro) zu Geld gemacht. Insgesamt trennte sich Bezos in den vergangenen Tagen von rund zwei Millionen Aktien seines Konzerns, wie Unterlagen der US-Börsenaufsicht SEC zeigen.

Amazons Aktien waren im vergangenen Jahr um 76 Prozent gestiegen. Seit Ende April fiel der Kurs jedoch um sieben Prozent. Bezos hatte Amazon 1994 gegründet und bleibt mit einem Anteil von rund zehn Prozent trotz der jüngsten Verkäufe größter Einzelaktionär.

Angesichts der enormen Krise, von der dieser Konzern derart profitieren konnte, während auch in Europa zahlreiche Menschen existenziell bedroht und de facto von Armut betroffen sind, erschließt sich noch weniger bei einem Blick auf die Trickserei, wodurch der US-Konzern sogar Steuern in Millionenhöhe gutgeschrieben bekommen hat.

Gewonnen wurden bislang lediglich ein Verfahren um Steuervergünstigungen für die Fiat-Gruppe in Luxemburg in Höhe von rund 20 bis 30 Millionen Euro sowie am Mittwoch ein Verfahren um eine Steuernachforderung in Höhe von rund 120 Millionen Euro gegen den französischen Energiekonzern Engie. Beide Fälle waren allerdings anders gelagert.

Nur ein schwacher Trost für die EU-Kommission ist, dass die öffentliche Diskussion über die Fälle als einer der Gründe gilt, warum Unternehmen wie Amazon ihre Steuerpraxis mittlerweile geändert haben. Ein Erfolg von Apple & Co. vor dem Europäischen Gerichtshof könnte nämlich dazu führen, dass andere Unternehmen diesem Beispiel nicht folgen und weiter auf Steuervermeidungsdeals setzen. Mehr als 30 fragwürdige Fälle hat die EU-Kommission derzeit noch unter Beobachtung.

Das luxemburgische Finanzministerium versprach unterdessen, dass Urteile das Bekenntnis des Landes zu Steuertransparenz und zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken nicht infrage stellten. Das Land werde sich weiter aktiv und konstruktiv an Diskussionen über eine internationale Unternehmenssteuerreform beteiligen, um gleiche Ausgangsbedingungen zu gewährleisten. Vestager teilte mit, dass die EU-Kommission weiter alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen werde, um unlautere Steuerpraktiken zu bekämpfen.

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(rt/dpa)

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